Im Interview unterhält sich darüber Oberfläche-Online Chefredakteur Oliver Missbach mit Gerhard Koblenzer, CEO der LPW Reinigungssysteme.

Frage: Bevor wir zu den Trends und Ausblicken der Reinigungsbranche für 2024 kommen, noch ein kurzer Rückblick: Wie verlief das ablaufende Jahr 2023 und was waren die Highlights aus Ihrer Sicht?

Gerhard Koblenzer: „Unterm Strich lässt sich über dieses Jahr sagen: zwei Schritte vor und einer zurück. Hört sich anstrengend an. War es stellenweise auch. Doch trotzdem besser als in umgekehrter Reihenfolge. Die generelle wirtschaftliche Abkühlung ging natürlich auch an uns nicht vorbei. So war die erste Jahreshälfte etwas zäh. Doch dank eines sehr guten Auftrags- und auch Lagerbestands, der bei der Umsetzung von Projekten in einer Zeit von Lieferketten-Schwierigkeiten essenziell ist, waren und sind unsere Kapazitäten weiterhin gut ausgelastet. Wir haben uns zudem technisch erneut deutlich weiterentwickelt. Neben Optimierungen in der Prozessführung und im Prozessmonitoring, haben wir das CNp-Verfahren in vielerlei Hinsicht vereinfacht sowie verbessert und mit zusätzlichen nutzerdefinierten Funktionen ausgestattet. Des Weiteren wurde die Trocknung dahingehend überarbeitet, dass Rück- und Querkontaminationen nahezu ausgeschlossen werden können. Nicht zuletzt hat unsere Standard-Baureihe PowerJet compact für hochwertige Fein- und Feinstreinigungs-Anwendungen ein High Purity-Reinstwassermodul erhalten. Zudem sind wir mit unserem wiedereröffneten und neu ausgestatteten Test- und Dienstleistungszentrum im Bereich Versuche, Entwicklungsprojekte und Lohnreinigung wieder voll einsatzfähig.“

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für die zurückhaltende Investitionsstimmung und generell latente Unsicherheit in der Branche?

Gerhard Koblenzer: „Gründe gibt es viele. Da wäre etwa der Umbruch in der Automobilindustrie, die schwer einzuschätzende Entwicklung von globalen Marktregionen wie Asien oder Osteuropa sowie politische Veränderungen. Zugleich sind neue Aufgabenstellungen entstanden, die auch neue, teilweise noch nicht vorhandene Skills verlangen. Daher ist 2023 in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit 2019: Schwieriges Umfeld bei den klassischen Industriesegmenten, wie Automotive und hohe Aktivität bei den neuen Geschäftsfeldern. Erfreulich ist, dass sich die Materialverfügbarkeit, verglichen zu den Vorjahren, insgesamt deutlich verbessert hat. Auch ist momentan von weitgehend plan- sowie verkraftbaren Preissteigerungen auszugehen. Dennoch sind wir in diesem Bereich leider noch nicht auf dem Niveau von 2019. Also muss diese Lücke auch weiterhin durch deutlich höhere Lagerbestände ausgeglichen werden.“

Frage: Ein großes Thema der Branche in diesem Jahr war High Purity. Auch auf der parts2clean. Wird es im neuen Jahr auch wieder eines der zentralen Themen werden und wie sehen Sie hier die Entwicklung?

Gerhard Koblenzer: „Nun, die Frage ist, wie man High Purity definiert. Sie hatten mich dazu ja schon im Herbst ausführlich befragt. Auf der diesjährigen parts2clean hatte man den Eindruck, als würde High Purity allein aus dem Zuliefererstrang von ASML und Zeiss SMT entstehen. Nicht falsch verstehen, das ist natürlich ein sehr wichtiges Geschäftsfeld mit einer Vielzahl von speziellen Aufgaben. Doch beim Themenbereich High Purity handelt es sich aus unserer über 15-jährigen Erfahrung in diesem Segment nicht um eine spezifische Branche. Es handelt sich vielmehr um alle industriellen Bereiche mit neuen und sich weiterhin stetig verändernden technologischen Aufgabenstellungen und ihren hohen Anforderungen an die Technische Sauberkeit im Herstellungsprozess. Es geht also um die Reduzierung der Re- und Cross-Kontamination im eigentlichen Reinigungsprozess sowie um die Vermeidung negativer Einflüsse aus der Gesamtprozesskette, den eingesetzten Medien sowie den allgemeinen Umgebungsbedingungen.“

Frage: Welche weiteren großen und kleinen Trends kommen 2024 in der Reinigungsbranche auf uns zu?

Gerhard Koblenzer: „Wir erwarten nicht wirklich wesentliche Veränderungen in der verfahrenstechnischen Umsetzung der Reinigungstechnik. Jedoch werden im Vorfeld die aufgabengerechte Auslegung der Anlagen, deren Komponenten sowie die Integration in die Prozesskette die Lieferanten und Kunden zeitlich und analytisch mehr fordern. Daher ist Co-Engineering auf höchstem Niveau und deutlich kooperativeres Verhalten auf beiden Seiten gefragt. Klassische Kunden-Lieferanten-Grenzen, wie etwa bei den bisherigen Projekten in der Automobilindustrie, schaden in vielen Fällen dem Ergebnis.

Höhere Anforderungen sind zudem an das Monitoring, die Schulung der Mitarbeitenden sowie an eine validierbare Prozessführung zu erwarten. Und das nicht nur bei den Prozessen in der Reinigungsanlage, sondern auch bei den qualitätsbeeinflussenden Faktoren in der Gesamtprozesskette. Dies stellt eine unserer Kernkompetenzen dar, die wir uns in den vergangenen Jahren intensiv erarbeitet haben. Insofern sind wir diesbezüglich fürs neue Jahr bestens gerüstet.“

Frage: Nachhaltigkeit ist derzeit ein großes Thema. Den FiT2clean-Award gewann dieses Jahr ein Unternehmen mit der Entwicklung innovativer, umweltgerechter Phasenfluide, die klassische Lösemittel in zahlreichen Reinigungsanwendungen ersetzten könnten. Wie wird das etwa die klassische wässrige Teilereinigung verändern?

Gerhard Koblenzer: „Grundsätzlich handelt es sich beim FiT2clean-Award-Gewinners intelligent fluids um ein bemerkenswertes Produkt. Doch zunächst wird es, zumindest in unserem Kernbereich, nichts ändern. Gerade in den High Purity-Segmenten versucht man möglichst ohne Chemie auszukommen. Denn neben ihren gewollten und benötigten Eigenschaften, stellt sie in den Spülbädern nach den eigentlichen Reinigungsprozessen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung an die Medienaufbereitungssysteme und in Folge an die Machbarkeit der hohen Sauberkeitsparameter dar. Also lässt sich die Nachhaltigkeit eines Gesamtprozesses nicht durch den isolierten Fokus auf einen Teilaspekt, wie die Chemie, bewerten. Das Zusammenspiel aller Variablen schafft die Nachhaltigkeit.“

Frage: Wenn wir die einzelnen Branchen betrachten, wohin wird hier Ihrer Meinung nach die Entwicklung gehen? Wo sind größere Entwicklungspotenziale, wo sind eher Rückgänge zu erwarten?

Gerhard Koblenzer: „Die zerspanende Industrie ist in den vergangenen Jahren rückläufig geworden, ebenso die Beschaffungen von Investitionsgütern in der klassischen Automobilindustrie, Stichwort Powertrain. Neue Segmente, wir beispielsweise die Hochvakuumtechnik, stellen zwar sehr hohe Anforderungen an die Technische Sauberkeit, die Stückzahlen sind jedoch vergleichsweise gering. Schlussendlich stecken Entwicklungspotenziale für die industrielle Reinigungstechnik in nahezu allen Branchen. Neue Produkte, neue Chancen. Sei es die E-Mobilität, Brennstoffzelle oder Sensorik im Automotive-Sektor, elektromechanische Komponenten oder additiv gefertigte Implantate in der Medizintechnik sowie veränderte Komponenten in der Luft- und Raumfahrttechnik. Hinzu kommt der steigende Bedarf an wehrtechnischen Produkten. Ein Trend, der in Europa und Nordamerika derzeit deutlich spürbar ist.“

Frage: Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland und Europa ist ja derzeit herausfordernd. Wie weit wird sich das auch im kommenden Jahr auswirken und ist Ihrer Meinung nach Erholung in Sicht?

Gerhard Koblenzer: „Wir beobachten seit drei bis vier Jahren eine gewisse Anzahl an positiven und eine vergleichbare Anzahl gegenläufiger Trends. Wir hatten beispielsweise den Strukturwandel in der Automobilindustrie, den Handelsstreit der USA mit Europa und China in 2019, die Coronakrise in 2020, die Lieferkettenstörungen in 2021, die Inflation in den vergangenen zwei Jahren sowie die deutlich gestiegenen Energiekosten, um nur die ganz großen Themen zu erwähnen. Folglich sind die Herausforderungen nicht allein bei den technologischen Entwicklungen zu suchen. Gerade auch politische und wirtschaftliche Instabilitäten wirken sich oft negativ auf die Investitionsbereitschaft großer und in Folge kleiner Unternehmen aus. Aktuelles Beispiel ist die Situation zwischen Taiwan und China, die unmittelbar Konsequenzen auf die Investitionspläne wichtiger Halbleiterfirmen hat. Die unklare Standortentscheidung für den Aufbau von Kapazitäten hemmt eine komplette Zulieferindustrie. Fehlende politische Rahmenbedingungen blockieren zudem bereits eingeleitete Entwicklungen. Zudem trägt der früher sehr wichtige chinesische Markt nicht mehr so stark wie seither. Der Bedarf an europäischen Importen ist aus mehreren Gründen zurückgegangen. Darüber hinaus bestehen vermehrt Unsicherheiten bei den Themen Marktzugang und -sicherheit. Dafür lohnt sich aber inzwischen der Blick nach Nordamerika. Wir werden sehen. Die zentrale Frage lautet: Auf welche Trends setzt man – und sind es die richtigen? 2024 sind wir schlauer …“

Frage: Wie verläuft die Entwicklung, auch in konjunktureller Hinsicht, in anderen Auslandsmärkten wie den USA?

Gerhard Koblenzer: „Bisher stellt sich die Situation in Nordamerika deutlich besser dar. Das gilt nicht nur für die US-amerikanische Wirtschaft selbst, sondern auch für die der direkten Nachbarländer. So fördert der Inflation Reduction Act die US-Industrie spürbar. Das bietet einerseits Chancen für europäische Unternehmen ohne gleichwertigen Wettbewerb vor Ort. Andererseits stellt dies für alle anderen ein Markteintrittshemmnis dar. Aktuell kommen wir auf jeden Fall an diesem Markt nicht vorbei. Auch wenn die Lage hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr schwer einschätzbar und unsicher ist.“

Frage: Wo werden 2024 die unternehmerischen Schwerpunkte bei LPW liegen?

Gerhard Koblenzer: „Selbstverständlich entwickeln wir unsere Anlagen und Verfahren weiter. Zudem werden wir, gemeinsam mit unseren Surface Alliance-Partnern, die Aktivitäten am nordamerikanischen Markt ausbauen und stärken. Schon allein aus den eben erwähnten Gründen. Darüber hinaus liegt unser Fokus weiter auf dem Ausbau der Dienstleistungsangebote rund um die neuen Anforderungen an den Grad der Technischen Sauberkeit. Das betrifft die Feinst- und Ultrafeinstreinigung in unserem Dienstleistungszentrum, die Schulung zum Thema in Verbindung mit Lösungen in der industriellen Reinigungstechnik sowie die Beratung auf den Feldern der Prozessoptimierung und Ressourceneffizienz-Steigerung.“

Frage: Wenn Sie als Unternehmer drei Wünsche für 2024 frei hätten, welche würden Sie wählen?

Gerhard Koblenzer: „Die meisten Wünsche muss man sich als Unternehmen wohl selbst erfüllen. Dafür sind ein glückliches Händchen und eine gewisse Prognosefähigkeit erforderlich. Damit wären die ersten beiden Wünsche schon ausgesprochen. Wunsch Nummer drei lautet Stabilität. Nach diesen unruhigen Jahren, die sehr viel von den Unternehmen – und insbesondere von deren Mitarbeitenden beruflich wie privat – gefordert haben, können wir alle davon eine große Portion gebrauchen. Und wenn ich noch einen vierten Wunsch hinzufügen darf, dieser lautet: frohe Weihnachten an Sie und Ihre Leser und uns allen ein wenig Ruhe, um für die kommenden Herausforderungen gestärkt zu sein.“

Oberfläche-Online: „Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koblenzer!“

Quelle: Oberfläche-Online Dezember 2023